Einleitung

Da die meisten seiner Werke erst spät in seinem Leben oder posthum publiziert wurden, spielten handschriftliche Abschriften – auch mit Blick auf die im 19. Jahrhundert gängige Publikationspraxis – eine übergeordnete Rolle in der Verbreitung der Musik Anton Bruckners. Durch das grundsätzliche Fehlen zeitgenössischer Drucke dienten die Abschriften mitunter bis in das 20. Jahrhundert hinein unter anderem als Widmungsexemplare, Aufführungsmaterialen, Ansichtspartituren oder Memorabilien. Die Erstveröffentlichung einer Vielzahl an kleineren Werken erfolgt sogar erst mit der beginnenden Herausgabe der mehrbändigen Bruckner-Biographie durch Göllerich und Auer im Jahr 1924.1 Die Erschließung und Identifizierung sowie der Nachvollzug der Provenienz der Partiturabschriften und Stimmensätze der Bruckner’schen Werke stellen somit einen wichtigen Ansatzpunkt dar, der zur Offenlegung der frühen Rezeption und Überlieferung desselben durch Freunde, Berufskollegen, Anhänger und letztlich auch das Publikum beiträgt. Besonders im Rahmen der vieldiskutierten Fassungsfragen der Bruckner’schen Symphonien nehmen die Abschriften eine besondere Rolle ein: Bilden sie doch Kompositionsstadien ab, die aufgrund der mitunter jahrelang andauernden Revisionen in den autographen Partituren anderweitig nicht mehr nachzuvollziehen sind. Die Identifizierung von Schreibhänden kann dabei der chronologischen Bestimmung des Kompositionsprozesses ebenso dienen wie zur Sichtbarmachung von Eingriffen und Bearbeitungen durch Bruckners Umfeld.

Erst mit der digitalen Erschließung und dem offenen Zugang zu nahezu allen handschriftlichen Quellen der Kompositionen Bruckners durch die Forschungsplattform bruckner-online.at wurde der hier aufgestellte erste Arbeitskatalog mit einer werkübergreifenden Zusammenstellung aller Kopisten ermöglicht. In bruckner-online.at finden sich neben den autographen Handschriften alle bisher bekannten Partiturabschriften, Particelle, Stimmensätze, Klavierauszüge und Bearbeitungen der Bruckner’schen Werke und sind somit auch in die vorliegende Gesamtschau mit eingeflossen. Ebenso wurden sowohl die Schreibprofile vollständiger Manuskripte als auch einzelner Folios, Seiten und Teilseiten in größeren Quellen aufgenommen.2 Aufgrund der vorläufigen Anlage des vorliegenden Katalogs versteht sich dieser als „einleitend“ und „in Arbeit“, sodass neue Forschungsergebnisse ebenfalls eingearbeitet werden können. So stützte sich die Identifizierung der verschiedenen Schreibprofile bisher bspw. fast ausschließlich auf Handschriften Bruckner’scher Werke sowie auf die dem Komponisten gewidmete Sekundärliteratur.3 Unberücksichtigt blieben dabei bisher zeitgenössische Handschriften anderer Komponisten sowie die daran geknüpfte Sekundärliteratur.4 Es liegt dabei auf der Hand, dass weitere Untersuchungen zu den Abschriften der Werke Johannes Brahms oder der Familie Strauss sowie in den Archiven der in Wien ansässigen Gesangsvereine zur Identifizierung einiger bisher als Anonymus geführter Kopisten beitragen wird. Ebenso könnten die in Bruckners Taschenkalender aufgeführten Personen wie bspw. Georg Adensamer, Vinzenz Hudetz, Franz Kimmel, Georg Richter, Julius Ritter, Urbanetz oder Franz Weber potentielle Kopisten gewesen sein und den bisher anonymen Kopisten zugeordnet werden.5 Letztlich bildet auch die unter Tabelle 1 und 2 vorgenommene Unterteilung in Primär- und Sekundärquellen nur einen vorläufigen Stand ab, da gerade durch die Zuordnung zu Schreibprofilen dieser Status mitunter neu bewertet werden muss.

Introduction

Because most of his works were published late in his lifetime or posthumously, by nineteenth-century standards, handwritten copies played an outsized role in the early dissemination of Anton Bruckner’s music. In the general absence of contemporary prints, manuscripts served as dedication copies, performance materials, perusal scores, and memorabilia, in some cases until well into the twentieth century. Many of his smaller works were not published until the multiple volumes of the Göllerich-Auer biography began to appear in 1924.1 Identifying the handwriting and tracing the provenance of copy scores and parts for Bruckner’s works are important steps towards understanding the early transmission of his music among friends, professional colleagues, supporters and ultimately, audiences. The copies are also invaluable because they often preserve compositions in stages of completion that were later obliterated by years of revision in Bruckner’s autograph manuscripts. Accurate identification of copyists’ hands can provide important chronological information about the genesis of individual works.

Digital access to almost all the composer’s sources through bruckner-online.at has enabled the compilation of this inaugural working catalogue of his copyists. All known manuscript scores, short scores, parts, piano reductions and arrangements of Bruckner’s music in a hand other than the composer’s are listed here. Complete manuscripts as well as individual folios, pages and parts of pages in larger sources have been included.2 The catalogue is both “inaugural” and “working“ because it is preliminary in nature, and the authors invite input and revision as future discoveries are made. To date, for example, identification of the various hands has relied almost exclusively on manuscripts of Bruckner’s music and secondary literature devoted to the composer.3 Sources of Bruckner’s contemporaries and literature about them, for the most part, have not been consulted.4 No doubt further studies of manuscripts of Brahms or the Strauss family, for example, will identify some of the anonymous scribes in this list. In future, the names of Georg Adensamer, Vinzenz Hudetz, Franz Kimmel, Georg Richter, Julius Ritter, Urbanetz and Franz Weber, all of whom are mentioned as potential copyists in Bruckner’s calendars, may be attached to sources identified here as anonymous.5 The importance of manuscripts in the hand of some scribes currently designated as secondary-source copyists may also need to be reevaluated.